Personalgewinnung im Arbeitnehmermarkt
Gerade in Zeiten der Corona-Auswirkungen stellt sich die Frage am Arbeitsmarkt: Entspannt sich die Lage beim Fachkräftemangel nun endlich? Einen Einblick auf Rekrutierungsfragen, den Möglichkeiten Potenziale außerhalb von Stellenanzeigen zu finden und aus Bewerben Kandidaten zu machen, bietet Peter Hirtler in seinem Gastbeitrag.
Hirtler ist Maschinenbauingenieur und seit 15 Jahren Inhaber der Firma Kontaktbeschaffer e.K. und nun geschäftsführender Gesellschafter der DiePersonalmanufaktur GmbH. Er ist Social Media Power-User und Ambassador der Plattform XING, wo er mehrere Gruppen moderierte, unter anderem die Freiburger XING Community mit 10.800 Mitgliedern. Als ausgebildeter Master Sourcer ist sein Spezialgebiet die Suche nach neuen Fach- und Führungskräften für mittelständische Unternehmen.
Arbeitgeber- oder Arbeitnehmermarkt?
Mittlerweile ist der Trend erkennbar, dass sich Firmen bei Kandidaten bewerben müssen und nicht umgekehrt. Daher auch die bewusst gewählte Bezeichnung Kandidaten, denn Bewerber passt nicht mehr, wenn sich immer weniger Menschen bewerben.
Wie dem auch sei: Die letzten Jahre waren geprägt von Vollbeschäftigung und prall gefüllten Auftragsbüchern. Mancherorts konnte die Personaldecke nicht so schnell mitwachsen wie benötigt, und daher hatten viele Firmen nicht nur Schwierigkeiten neue Mitarbeiter zu finden, sondern viele der vorhandenen Mitarbeiter arbeiteten bis an ihre Belastungsgrenzen. Dies führte bei einigen Unternehmen nicht zwingend zu bester Stimmung.
Alles in allem blieb oftmals wenig bis keine Zeit die Arbeitsbedingungen ansprechender zu gestalten, an der Unternehmenskultur zu feilen und am Ende vielleicht als eine attraktive Arbeitgebermarke im Markt und/oder der Region hervorzustechen. Und das ist im Grunde auch nachvollziehbar und verständlich.
Aber!
„Aber“ muss man deshalb sagen, da sich vieles in den letzten Jahren nicht nur gewandelt, sondern bereits etabliert hat.
Manch eine Firmen-Website spricht diesbezüglich Bände und es geht weit darüber hinaus. Wenn man dabei nur an die Vergleichbarkeit von Unternehmen mittels Bewertungsplattformen denkt, über Möglichkeiten, dass viele Firmen schon Zugang zu den gängigen Social Media Plattformen gefunden haben und auch das Thema Video in die Kommunikation nach außen einbauen, dann liegt die Messlatte für alle anderen eben genau in dieser Höhe.
Kommt dann noch die Anwendung moderner Führungsstile, die Offenlegung von Gehältern, die Abschaffung von Hierarchien und eine gelebte agile Arbeitsform dazu, wird es für Firmen, die noch nicht so weit sind, oder die sich gar diesen Herausforderungen gänzlich verschließen, einfach enger. Das soll nicht heißen, dass ein Unternehmen nicht trotzdem existieren kann. Jedoch stellt sich die Frage, welchen Preis man in mittelbarer Zukunft dafür zahlen muss.
Hier gebe ich zu bedenken: Fällt zu einem späteren Zeitpunkt doch die Entscheidung, dass man, um den Anschluss an den Wettbewerb nicht zu verpassen, das große Änderungspaket angehen möchte, wird es entweder sehr aufwändig oder sehr teuer. Im schlimmsten Fall beides.
Folgen Sie mir mal rein gedanklich
Ich will Ihnen an einer konkreten Situation erläutern, warum ich Ihnen empfehle das Kandidatenerlebnis selbst nachzuvollziehen.
Nehmen wir mal an, dass ein potenzieller Mitarbeiter von Ihrem Unternehmen hört. Was wird diese Person voraussichtlich als ersten Schritt tun?
Genau: Es ist davon auszugehen, dass sie sich zunächst schlau über Ihr Unternehmen und Ihre Stellenangebote machen wird. Und dabei wird mit höchster Wahrscheinlichkeit die potenzielle Kandidatin oder der Kandidat Antworten auf unterschiedlichen Webseiten suchen.
Bitte machen Sie sich bewusst, dass die Beantwortung folgender Fragen für vakante bzw. interessierte Fachkräfte entscheidend sind und das die Vorentscheidung bilden, sich bei einem Unternehmen zu melden:
- Wie aktuell und ansprechend ist die Firmenwebseite?
- Findet man auf einer Unternehmensseite etwas zu den Menschen, die dort arbeiten?
- Gibt es eine ansprechende Karriereseite?
- Sind die Stellenanzeigen kandidatenorientiert und modern gestaltet?
- Werden die Ansprechpartner für Rückfragen aufgeführt?
- Sind diese auch in (beruflichen) Social Media Plattformen zu finden?
- Wie sehen die Unternehmensbewertungen auf kununu oder auf Google aus?
- Welche Informationen erhalte ich in puncto Unternehmenswerte?
- Gibt es einen Blick „hinein“, in Form von authentischen Bildern, z.B. bei Instagram oder anderen Social-Media-Kanälen?
- Ist das Unternehmen „erlebbar“, z.B. durch Video-Inhalte auf der eigenen Webseit, YouTube oder durch andere Social-Media-Stories?
- Welches Prozedere der Kontaktaufnahme bis hin zur Einreichung der Unterlagen wird angeboten?
- Und funktionieren die Webseiten bzw. Prozessangebote auch mobil?
Wie Sie an diesen ersten Fragen unschwer erkennen, bringen die Anforderungen von Seiten des (Kandidaten)Marktes und die Erwartungen potenzieller neuer Mitarbeiter ein ganz bestimmtes Niveau in Bezug auf das Erscheinungsbild eines Unternehmens mit sich.
Oder so formuliert: Die Außendarstellung Ihres Unternehmens kann unmittelbar viel über die Unternehmenskultur aussagen und wird von Kandidaten genauestens geprüft. Bitte versichern Sie sich, dass die Darstellung auf Webseiten auch auf mobilen Endgeräten gut aussieht und z.B. die Kontaktaufnahme dort ebenfalls möglich ist.
Viele Menschen, gerade in den unteren Gehaltsgruppen (z.B. Pflege-, Reinigungs- und Logistigkräfte, Maschinenbediener, Zusteller oder Aushilfen), haben keinen PC mehr zu Hause. Wohl aber ein Smartphone.
Und jetzt?
Wirkt die Corona-Krise dem nun entgegen? Oder spült sie vielleicht viele althergebrachte „Bewerber“ auf den Markt und stellt die Zustände „von früher“ her?
Die Antwort ist eindeutig: Nein.
Auch wenn die wirtschaftliche Lage bei einigen Unternehmen dazu führen wird, dass Mitarbeiter freigesetzt werden müssen, werden diese Fach- und Führungskräfte sich ganz genau anschauen bei wem sie künftig anheuern. Deshalb sind die oben exemplarischen, aufgeführten Fragen heute noch relevanter.
Gerade in der Corona-Krisenzeit haben sich nahezu alle Mitarbeitenden online bewegt und sind, bspw. durch Home-Office Arbeitsplätze, in einer neuen Dimension der kollaborativen Zusammenarbeit angelangt. Informationsgewinnung per Web ist da obligatorisch.
Firmen deren Unternehmenskultur zuvor schon authentisch und damit ansprechend war und diese online voll umfänglich abgebildet haben, sind jetzt im Vorteil. Hier gut aufgestellt zu sein, heißt seine Hausaufgaben definitiv gemacht zu haben.
Doch ich möchte jenen Unternehmen, die sich noch nicht wie empfohlen aufgestellt sehen, Mut zusprechen: Es ist noch nicht zu spät, sich den neuen Gegebenheiten anzupassen.
Stellenausschreibung
Neue Mitarbeitende als Bewerber oder Anwerber zu sehen, und in klassischen Stellenanzeigen unbekannte Fachkräfte dazu aufzufordern sich „zu bewerben“, ist im Grunde von vorgestern. Es sei denn es funktioniert nach wie vor, so wie in der guten alten Stellenanzeige der Lokalzeitung. Wenn diese noch genug Menschen zu Ihnen führt, dann ist dies ungewöhnlich, aber nicht ausgeschlossen und kann ja gerne weiter betrieben werden.
Kandidaten finden
Ein moderner und erfolgsversprechender Ansatz verläuft hingegen so, dass man Kandidaten zu Erstgesprächen einlädt, die sich von sich aus nie beworben hätten, um diese, wortwörtlich, persönlich kennenzulernen.
Thematische Neulinge werden sich vielleicht fragen, wie das gehen soll und ich gebe Ihnen einen Einblick in meine berufliche Expertise: Durch gezielte Internetrecherchen.
Dazu sind Kenntnisse der gängigen Plattformen erforderlich, inkl. der Sourcing Tools wie bspw. den Recruiter Profilen bei XING und LinkedIn, oder einer Social Media konformen Kommunikation und der Bereitschaft zu Zeiten zur Verfügung zu stehen, zu welchen die Kandidaten zu Gesprächen bereit sind. Der Prozess ähnelt dem der Kaltakquise in der Neukundengewinnung und gehört heutzutage zum Standard-Répertoire zukunftsorientierter Personalabteilungen und/oder deren Partnern. Im Idealfall haben diese das Know-how und auch die Ressourcen, um hier im Sinne der Zukunftsfähigkeit schlagkräftig agieren zu können.
Der Vorteil an dieser Vorgehensweise ist, dass das Kandidaten-Profil, und damit das Vorhandensein gesuchter Fähigkeiten, sich schon vorab in den entsprechenden Online-Medien in Erfahrung bringen lässt. Sehr wahrscheinlich erhält man von der getroffenen Kandidatenauswahl noch einen abgebildeten Lebenslauf und dieser entspricht zu 99% den schriftlich zugesandten. Ganz nebenbei ersparen Sie sich bei dieser Form der Recherche langweilige, standardisierte Motivationsschreiben, warum nun die eine oder andere Person genau die richtige für die angebotene Stelle ist. Es ist ohne Zweifel ein Paradigmenwechsel der Personalrekrutierung.
Doch Obacht: Vielleicht sind die auf den Plattformen ausgewählten Potenziale nicht wechselwillig.
Es muss also einen Grund geben, weshalb Personen die eigenen Skills auf einer Webseite feilbieten. Man darf bei den Nutzern von Online-Business-Profilen von einer Bereitschaft sich darzustellen und die Neugierde gefunden zu werden ausgehen. Mit anderen Worten: Es gibt unterschiedliche Gründe, warum man zur Schau stellt, was man selbst anzubieten hat und warum dies für Betrachtende interessant sein könnte. Scheuen Sie sich nicht diese Personen bei Interesse anzuschreiben, sie zu sich einzuladen. Vielleicht kommen die angesprochenen Personen ja auf einen Kaffee bei Ihnen vorbei.
Kandidaten wie Kunden behandeln
Um diese neuen A-Mitarbeiter selbst im Netz zu identifizieren, anzusprechen und abzuholen, ist es essentiell die Fähigkeit im eigenen Unternehmen zu kultivieren Kandidaten wie TOP-Kunden zu behandeln, diese zu hofieren und letztendlich zu begeistern oder entsprechende externe Rekrutierungspartner in diesen Prozess einzubinden.
Die entdeckten A-Kandidaten sind dann wortwörtlich abzuholen und von der ersten Sekunde an in das eigene Unternehmen zu integrieren (Stichwort: modernes Onboarding). Ich möchte auffordernd sagen: Machen Sie Kandidaten zu Ihren Fans.
Fazit
Die Krise führt eben nicht zwingend zur erhofften, großen Entspannung auf dem hart umkämpften Fachkräfte-Markt. Zum einen aufgrund der Tatsache, dass bis 2030 ca. 6 Mio. Arbeitskräfte der Babyboomer-Jahrgänge altersbedingt aus dem Arbeitsleben ausscheiden werden. Zum anderen, weil die Ansprüche wechselwilliger Kandidaten immer noch konstant hoch sind.
Auch wenn der ein oder andere A-Mitarbeiter, z.B. aus der Automobil-Branche, sich gerne in ein neues Arbeitsverhältnis begeben möchte, der Weg dorthin sollte, online wie offline, für diese Menschen begeisternd gestaltet sein.
Analog könnte man sagen: investieren Sie so viel wie möglich, um diese Klientel für sich zu gewinnen, ähnlich wie Sie es für einen Wunsch-Kunden vollbringen.
Es gibt definitiv gute Ansätze und Firmen, die als Leuchttürme des Peronal-Recruitings und der Personalentwicklung anzusehen sind, von deren Best Practices Unternehmen lernen können.
Meine Erfahrung zeigt aber auch, dass noch eine Menge Potenzial für die Optimierung der gesamten Firmenlandschaft im IHK-Kammerbezirk Südlicher Oberrhein besteht. Denn eins möchte ich nicht: Dass zukünftig Menschen unsere Region verlassen, weil andere die Nase vorne haben.
Tipps und Anregungen zur Umsetzung
- Fangen Sie klein an.
- Haben Sie nicht den Anspruch perfekt sein zu müssen.
- Erlauben Sie sich Fehler und Rückschläge.
- Gehen Sie Schritt für Schritt voran.
- Sammeln Sie kleine Erfolge und etablieren Sie Know-how im eigenen Unternehmen.
- Tauschen Sie sich mit Unternehmen aus, die in einer ähnlichen Situation oder schon weiter sind.
- Finden Sie den Spaßfaktor.
- Motivieren Sie Ihre Mitarbeiter Sie zu unterstützen (Stichwort: Empfehlungsprogramme).
- Es ist keine „Rocket-Science“, das werden Sie merken.
- Zeigen Sie allen, dass Sie ein tolles Unternehmen sind!
- Es gibt nicht den universell gültigen Weg, es gibt nur IHREN WEG!
(Gastautor: Peter Hirtler; Herausgeber: Emmanuel Beule)