Klare Kommunikation Teil I


Bannerbild Klare Kommunikation II
Ein Gastbeitrag von Dr. Marcel Dräger, Experte für Wissenskommunikation, im Rahmen unserer Serie: Impulse zur ‚neuen Normalität‘ und digitalen Führung von Unternehmen. Mit seinem Unternehmen, die SeminareMacher GmbH, bietet Herr Dr. Dräger Unterstützung bei der Vermittlung komplexer und komplizierter Sachverhalte in der analogen und digitalen Kommunikation. In einer zweiteiligen Ausgabe erhalten Sie tiefgründige Impulse über Kommunikation.

Kann (digitale) Kommunikation Probleme der Digitalisierung lösen?

Die zunehmende Dynamik und Komplexität der Umwelt macht Menschen und Unternehmen das Leben schwer. Zumindest ist das ständig in den Fachartikeln zur Digitalisierung, zu New Work und zu agilen Organisationsformen zu lesen. Wie ist es bei Ihnen?
Was ich beobachte ist, dass viele Menschen in verantwortungsvollen Positionen derart mit Reagieren beschäftigt sind, dass sie kaum noch Zeit zum Agieren finden. Das scheint mir fatal zu sein, denn Hinterherlaufen ist ja gerade nicht die Aufgabe von Führungskräften – sie sollten vorauslaufen.
Klickt man sich durch die Internetauftritte von Anbietern digitaler Produkte und Dienstleistungen, dann findet man ein zentrales Verkaufsargument: Erleichterung und Zeitersparnis. Wohin geht diese durch Digitalisierung eingesparte Zeit? Falls Sie zufällig gerade durch die Nutzung digitaler Produkte etwas Zeit aufgespart haben sollten, freue ich mich, wenn Sie diese nutzen, um meinen Text zu lesen über den Komplexitätslöser Klarheit im Zusammenhang mit Kommunikation insbesondere digitaler Kommunikation.
Ich kann Ihnen leider nicht versprechen, dass Sie mit den Anregungen auf den folgenden Seiten persönlich Zeit sparen werden. Aber Sie können die Anregungen nutzen, um (digitale) Kommunikation wirksamer, zielführender und klarer zu gestalten. Der Effekt könnte sein, dass Sie dadurch überzeugender sind und dass andere Ihre Informationen wahrnehmen, darauf reagieren und etwas daraus machen.
Am Ende sparen Sie dann vielleicht doch noch etwas Zeit, weil weniger Missverständnisse, Nachfragen und Fehler auftreten. Dem liegt ein altes Prinzip in der Rhetorik und Kommunikation zugrunde: Wenn eine Person sich um Klarheit und Verständlichkeit bemüht, profitieren viele andere beim Lesen oder Zuhören. In Projekten und Organisationen kommt Effizienz letztlich allen zu Gute. Deshalb wird sich mehr Klarheit in der (digitalen) Kommunikation durchaus lohnen.

Kurzfassung

Stecken für Sie interessante Ideen in dem Text? Die thesenartige Kurzfassung verrät es Ihnen:
  • Komplexität ist ein undefinierter und nicht nachvollziehbarer Störenfried.
  • Klarheit hilft gegen Komplexität – aber wie?
  • Klarheit ist keine Oberflächenpolitur für Kommunikation, es ist ihre Aufgabe.
  • Ohne klare Vorstellung ist eine klare Kommunikation nicht möglich.
  • Kommunikation ist linear, das macht sie ungeeignet für komplexe Inhalte.
  • Hilfe bietet der Rückgriff auf bewährte Strategien bspw. aus der Rhetorik.
Die nachstehenden Punkte werden im zweiten Fachartikel bearbeitet.
  • Digitale Kommunikation kann Komplexität besser abbilden.
  • Digitale Kommunikation funktioniert (irgendwie).
  • Aber: Digitale Kommunikation ist anstrengend und oftmals nicht zielführend.
  • Digitale Kommunikation ist komplexer als analoge.
  • Digitale Kommunikation braucht deshalb zusätzliche Klarheit.
  • Kommunikative Stärken und Persönlichkeit werden digital nicht wirksam.
  • Haben wir schon verstanden, wo und wie digitale Kommunikation uns hilft?
  • Welchen digitalen Fortschritt nehmen wir mit in die neue Normalität?

Klarheit. Kommunikation. Komplexität - der Zusammenhang

Was Klarheit ist, ist gar nicht klar

Klarheit wird in der VUCA-Welt als Mittel im Umgang mit Komplexität angeführt. Doch klar ist damit gar nichts. Wie hilft Klarheit gegen Komplexität? Was genau sollte klar sein oder klar werden? In einer oberflächlichen Betrachtung heißt es beispielsweise: „Formulieren sie klar und einfach. Seien Sie konkret, ehrlich und authentisch.“ Das habe ich im Informationsmaterial eines selbst so benannten VUCA-Experten gefunden. Was fangen Sie damit an?

Klar und einfach sind nicht das Gleiche

Ich kann Ihnen ehrlich und authentisch versichern: Der folgende Text über Komplexität, Klarheit und Kommunikation ist nicht einfach. Einfachheit würde nämlich bedeuten, das Vielfache drastisch zu reduzieren bis etwas Einfaches übrigleibt. Einfach ist eine solcher Ratschlag wie „Seien Sie authentisch.“ Das Einfache würde Ihnen vielleicht gefallen und Sie würden kopfnickend zustimmen.
Aber spätestens, wenn man versucht, das vermeintlich Einfache umzusetzen, merkt man, dass der Tipp etwas zu einfach und für die eigene Situation möglicherweise auch unpassend war. Denn hinter dem Einfachen steckt etwas Komplexes und dessen Komplexität verändert sich kein bisschen dadurch, dass man es einfach darstellt. Ich hoffe daher, dass der Text klar ist. Denn Klarheit bedeutet zu erkennen, was sich hinter dem Text verbirgt.
Ist der Text klar, dann sollten Sie durch ihn hindurch eine – nämlich die von mir hineinformulierte – Vorstellung von Komplexität, Klarheit, Kommunikation und deren Zusammenhang bekommen. In der antiken lateinischen Rhetorik gebrauchte man für das Konzept der Klarheit das Wort perspicuitas, das mit „Deutlichkeit“ oder wörtlich mit „Durchsichtigkeit“ zu übersetzen wäre.
Kommunikation hat also die Aufgabe, durchsichtig zu sein, damit man deutlich erkennt, welche Aussage über die Wirklichkeit jemand macht. Für einen professionellen Umgang mit Komplexität ist es wichtig zu trennen: Klarheit ist nicht Einfachheit. Das sind zwei unterschiedliche Kommunikationsprinzipien, zwei unterschiedliche Arten, mit Komplexität umzugehen, die geschickt genutzt große Stärken haben.

Die Gefahr, wenn klar und einfach zusammenkommen

Ungeschickt genutzt behindern sie sich gegenseitig. Dazu ein Beispiel:
Eine klare Aussage ist die folgende: „Die Geschäftsführung hat entschieden, dass Sie ab dem 01.06. alle mit der Vertriebs-Software „Biggersales 4.0“ arbeiten werden.“ Mit diesem Satz könnte ein*e Geschäftsführer*in die Kundenberaterinnen und -berater über die geplante Einführung einer neuen Vertriebssoftware informieren. Vorausgegangen sind mehrstündige Beratungen und intensive Analysen verschiedener Optionen und der schwierigen Marktlage. Auch die Kosten und mögliche Einsparungsmöglichkeiten spielten bei den komplexen Entscheidungen eine Rolle.
Die formulierte Information ist sprachlich klar benannt, es gibt keine Mehrdeutigkeit und kein störendes Beiwerk. Allen dürfte klar sein, was passieren soll, die Berater*innen sind informiert. Aber sind sie auch überzeugt? Werden sie motiviert zur Tat schreiten? Werden sie sich die weiteren Details, die nun zu der Software präsentiert werden, merken können?
Die Formulierung ist klar. Sie ist auch einfach. Doch das durch Kommunikation sichtbar Werdende wird dadurch nicht einfacher, es beruht auf einer schweren Entscheidung und weist in eine unklare Zukunft. Die angespannte und als bedrohlich empfundene Situation im Unternehmen bleibt komplex, egal wie klar die Information übermittelt wird. Die Klarheit in der Formulierung wird hier zu einem Boomerang. Das passiert deshalb, weil sie nicht nur klar, sondern auch einfach ist.
Einfach meint, durch die Kommunikation wird nur ein sehr kleiner Ausschnitt des Komplexen geklärt. Die Angesprochenen erkennen nun gerade wegen der Klarheit, dass noch mehr dahintersteckt, dass mit der neuen Software mehr Veränderungen kommen werden als angekündigt. Die Betroffenen fangen an, das Erkennbare, das klar Formulierte zu hinterfragen und mit eigenen Erfahrungen, Befürchtungen und Vermutungen zu ergänzen. Die Kombination aus Klarheit und Einfachheit ist gefährlich. Und sie bewirkt oft das Gegenteil des Bezweckten, sie führt gerade nicht punktgenau zum Ziel.

Klarheit und Einfachheit bewusst einsetzen

Viele kommunikative Ziele im Zusammenhang mit komplexen Phänomenen lassen sich durch eine klare oder durch vereinfachte Kommunikation erreichen. Es liegt oftmals in der Verantwortung der Kommunizierenden, wie sehr sie Komplexität durch Vereinfachung ausblenden wollen. Und es ist auch eine Frage von Macht, Rolle und Einfluss, ob einfache Aussagen von anderen akzeptiert oder nur „geschluckt“ werden.
Ganze Kommunikationssparten (bspw. die Werbung) sind auf einfache Aussagen spezialisiert, weil komplexe Darstellungen keinerlei Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Doch es gibt einen Unterschied zwischen professioneller Einfachheit und zufälliger Einfachheit. Professionelle Einfachheit kann man als extreme, aber nicht zufällige, sondern wohl überlegte Komplexitätsreduktion verstehen. Professionelle Einfachheit ist daher schwieriger zu erreichen als Klarheit.
Eine Werbeagentur kann schließlich für einen pointierten Claim vieles ausblenden, aber sie muss das Wesen eines komplexen Unternehmens dennoch treffen. Überall dort, wo Kommunikation nicht der Werbung oder verwandten Kommunikationszielen dient, sondern der Wissensvermittlung, der Anleitung oder der Überzeugung, dort ist Klarheit meistens zielführender.

Klarheit der Vorstellung – Klarheit der Kommunikation

Ich habe Klarheit in Bezug auf Kommunikation gerade in zwei unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet: Zuerst ging es um die Klarheit einer Vorstellung, dann um die Klarheit des Ausdrucks in der Kommunikation. Doch schon das Beispiel zeigt, dass die beiden Klarheiten zusammenhängen, weil im besten Fall die zweite auf der ersten aufbaut. Im Folgenden wäre also zu klären, weshalb Klarheit in der Kommunikation wichtig, nötig oder vielleicht sogar unverzichtbar ist. (Grafik 1)
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Was ist Kommunikation?

Sie kommunizieren täglich: mit unterschiedlichen Menschen, mittels verschiedenster Medien, über eine Vielzahl von Themen und mal mit mehr, mal mit weniger konkreten Zielsetzungen. Eigentlich wissen Sie, was Kommunikation ist, und keine Definition oder Beschreibung wird nur annähernd Ihre Erfahrungen damit einfangen. Aber ich sollte klarstellen, mit welcher Vorstellung ich das Wort „Kommunikation“ hier verwende. Dazu nutze ich eine kommentierte Zeichnung. Die Zeichnung zeigt exemplarisch die wesentlichen Schritte vom Betrachten eines Phänomens (bspw. einer Berglandschaft), über den Erwerb einer Vorstellung, der sprachlichen Äußerung dieser Vorstellung, der Übermittlung der geäußerten Zeichen bis zur Rekonstruktion der Vorstellung durch eine andere Person.
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Die Grafik reduziert Kommunikation auf fünf wesentliche Schritte und lässt dabei außer Acht, dass Informationen normalerweise in beide Richtungen ausgetauscht werden.
Im Weiteren komme ich immer wieder zurück auf diese fünf Schritte der Kommunikation und reichere sie Stück für Stück an. Das Ziel ist es, nachdem die Konzepte von Komplexität und Klarheit in die Grafik eingeflochten und mit dem Verständnis von Kommunikation verknüpft sind, eine zusätzliche Ebene auf die Grafik zu legen: die Ebene der digitalen Medien. Ich möchte Ihnen zeigen, dass die Digitalisierung nicht nur bei der Übermittlung der Zeichen Einfluss auf die Kommunikation nimmt, sondern auch schon beim Erwerb einer Vorstellung.

Komplexität, der undefinierbare Störenfried

Wenn das VUCA-Modell Klarheit als Mittel gegen Komplexität nennt, sollten wir mit etwas Komplexem beginnen, beispielsweise mit Ihrem Unternehmen. Wie erleben sie Komplexität im Alltag Ihres Unternehmens?
Wenn Sie sich an den gängigen Definitionen orientieren möchten, sollten Sie erleben, dass das „Verhalten“ Ihres Unternehmens von einer Vielzahl von Einflussfaktoren beeinflusst wird, dass Sie viele dieser Faktoren gar nicht kennen und dass Sie auch nicht wissen, ob und wie diese sich gegenseitig beeinflussen. Sollten Sie das Gefühl haben, dass es durchaus regelhafte und berechenbare Zusammenhänge gibt, dann widerspricht das nicht der Definition. Diese Regeln sind allerdings nur lokal bekannt (bspw. im Unternehmen oder einer Abteilung). In einem übergeordneten System, beispielsweise der Wirtschaftsregion, in der das Unternehmen tätig ist, sind diese Regeln nicht mehr bekannt.

Komplexität ist wie ein Netzwerk ohne erkennbare Regeln

Eine gängige Darstellungsform von komplexen Systemen sind Netzwerkstrukturen. Vielleicht sähe Ihr Unternehmen, wenn man die Wechselwirkungen der vielen Einflussfaktoren aufzeichnen würde, so wie das untenstehende Netzwerk aus. Irgendwie hängen der große dunkelgrüne und der große dunkelblaue Punkt zusammen, möglicherweise hat es also Auswirkungen auf den blauen Punkt, wenn der grüne ausfällt. Man weiß es aber nicht und kann es auch nicht sicher herausfinden.
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Komplexe Systeme gelten als unberechenbar und sind mit einer hohen Unsicherheit behaftet. Wenn die dunkelgrauen Punkte eine neue Unternehmensstrategie entwickeln, ist nicht sicher, dass die dunkelroten Punkte diese auch umsetzen können und wollen.
Wenn … dann … – diese Kausalgrundlage von Regeln funktioniert in komplexen Systemen nicht mehr. Die einzelnen Einflussfaktoren sind zwar hochgradig vernetzt und beeinflussen sich gegenseitig. Aber die Ursache-Wirkungs-Logik dieser gegenseitigen Einflüsse ist aufgehoben.

Komplexität ist der Alltag.

Das ist es, was das VUCA-Modell vermitteln soll: Die einzelnen Faktoren eines Systems, beispielsweise des Unternehmens, beeinflussen sich weiterreichend und viel schneller, als das früher der Fall war. Aber man kann weder vorhersehen und planen, an welchen Stellen im System ein Impuls Reaktionen auslöst, noch weiß man, welche Reaktionen das sein werden. Als Teilnehmer*in der VUCA-Welt muss man lernen, mit dieser Komplexität umzugehen. Eine Grundlage hierfür ist Klarheit.

Klarheit und Komplexitätsreduktion

Wenn Menschen mit komplexen Phänomenen – beispielsweise Fußballspielen – konfrontiert sind, bilden sie sich eine komplexitätsreduzierte Vorstellung, in der das Wahrgenommene schlüssig erscheint. So äußert ein Fan vielleicht folgende Vorstellung über den Sieg der Heimmannschaft:
„Als unsere Torfrau kurz nach der Pause den Elfer gehalten hat, waren die Gegnerinnen vollständig demoralisiert und hatten unserer Top-Stürmerin nichts mehr entgegenzusetzen.“
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Er greift zwei markante Beobachtungen heraus (Elfer, Tore durch die Stürmerin), deren Bezug zueinander nicht offensichtlich ist. Sein Vorwissen über demoralisierende Ereignisse im Fußball liefert den passenden Baustein, um die beiden Beobachtungen in eine Ursache-Wirkungs-Beziehung zu bringen.
Die fiktive Fan-Reaktion ist ein Beispiel für eine einfache Vorstellung. Einfachheit ist eine gängige und naheliegende Form der Komplexitätsreduktion. Einfache Vorstellungen von komplexen Phänomenen können problematisch sein, wenn sie ungeprüft stehenbleiben. Aber sie sind nicht per se falsch. Einfache Vorstellungen können auch Auslöser für ein weiteres Nachdenken sein, sie können hinterfragt und im Gebrauch überprüft werden. Einfache Vorstellungen können eine immer klarer werdende Vorstellung nach sich ziehen, indem sie sich immer weiter ausbauen.

Der Erwerb von komplexitätsreduzierten Vorstellungen

Das verweist darauf, dass die Komplexität an sich nicht vereinfacht werden kann, und dass Komplexität auch nicht aufgelöst werden kann. Sobald man sich mit der einfachen Vorstellung nicht zufriedengibt, gelangt man automatisch in komplexere Zusammenhänge hinein. Durch eine intensive und vor allem länger andauernde Auseinandersetzung mit komplexen Systemen (bspw. dem eigenen Unternehmen), erkennt man Muster, zentrale Einflussfaktoren und immer wieder wirksam werdende Zusammenhänge. Diese Vorstellung, die weiterhin keine kausale Logik darstellt, verschafft eine Klarheit über das komplexe System. Diese Klarheit ermöglicht beispielsweise Simulationen und Abschätzungen, sie ermöglicht Vergleiche von ähnlichen Phänomenen und ist eine Basis für das Verstehen und Kommunizieren. Die Klarheit ist deshalb eine gute Basis, weil die erfahrenden Wirkzusammenhänge und Einflussfaktoren als typisch für ein komplexes System gelten können.

Fußballspiele sind komplex – Ein Beispiel zur Komplexitätsreduktion

Vom Fußball weiß man, dass Laufstärke, dass Taktik, dass individuelle Stärken zentrale Einflussfaktoren im Spiel sind. Man weiß auch, dass die Platzbeschaffenheit, der Sonnenstand oder der Luftdruck im Ball einen Einfluss haben können – dennoch würde man das nicht in die Taktiküberlegungen und Planungen einbeziehen. Eine im geschilderten Sinn klare Vorstellung vom Fußballspiel führt auch zu klareren, komplexitätsreduzierten Aussagen, wie sie vielleicht die Trainerin der Siegmannschaft äußern würde:
„Die Spielerinnen haben die Taktik perfekt umgesetzt. In der Defensive haben wir erneut schwach gespielt, glücklicherweise blieben die Fehler ohne Folgen. Die Geschlossenheit der gegnerischen Mannschaft hat uns überrascht. Das konnten die in den letzten Spielen nicht zeigen. Es war gut, dass wir heute zwei so gut harmonierende Stürmerinnen aufbieten konnten, und der gehaltene Elfmeter in der entscheidenden Phase war natürlich Weltklasse.“
Die Vorstellung der Trainerin beruht auf einem umfangreichen Vorwissen (Taktik) und auf Erwartungen an das Spiel (erneut schwach gespielt). Die schon bestehende Vorstellung wurde durch das Spiel überprüft ggf. korrigiert. Kausale Schlüsse fehlen, vielmehr stehen zentrale Beobachtungen unverbunden nebeneinander. Das Unvorhersehbare des komplexen Spiels wird durch Verweise auf Glück und Überraschendes thematisiert.
Eine Klarheit über Fußballspiele gewinnt die Trainerin, weil sie erkennt und akzeptiert, dass der Ausgang des Spiels keinen kausalen Regeln folgt. Sie akzeptiert auch, dass sie nicht alle Einflussfaktoren kennt. Dennoch ist ihre Vorstellung gut ausgebaut und wird mit jedem Spiel wieder geprüft und aktualisiert. Die Vorstellung wird zunehmend umfangreicher, komplexer und auch genauer. Komplexe Vorstellungen lassen sich aber nur erreichen, wenn man sie zulässt. In der folgenden Grafik habe ich verdeutlicht, wie sich sukzessive eine komplexere, aber klare Vorstellung einer komplexen Wirklichkeit entwickeln kann. Einfache Vorstellungen lassen sich auch verhältnismäßig einfach kommunizieren. Komplexe Vorstellungen hingegen erschweren die Kommunikation. Warum das so ist, will ich im Folgenden zeigen.
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Klarheit der Äußerung

In der zwischenmenschlichen Kommunikation wird oft vergessen, dass eine Person nur das äußern kann, was in ihr drinsteckt. Nach einem Fußballspiel kann der Fan beispielsweise nur das erzählen, woran er sich erinnert inklusive seiner phantastischen Ergänzungen. Das bedeutet aber auch, dass man in Gesprächen, in Vorträgen und in der Aus- und Weiterbildung keine Beschreibung eines komplexen Phänomens neben sich legen und dann spontan darüber reden kann. Wenn das Wissen, die Vorstellung über das Phänomen nicht verinnerlicht ist, kann sie auch nicht geäußert werden. Die Grundlage für klare Äußerungen sind klare Vorstellungen.

Äußern heißt, komplexe Vorstellungen linear zu strukturieren

Oftmals und insbesondere bei Menschen, die sich ausgiebig mit einem komplexen Phänomen beschäftigen, sind die Vorstellungen wiederum zu komplex und zu ausführlich, um sie äußern zu können. Ein weiteres Mal muss Komplexität reduziert werden. Überhaupt ist die Äußerung – also das Aus-dem-Körper-Bringen – einer Vorstellung eine große Herausforderung, weil Sprechen und Schreiben lineare Prozesse sind. Das heißt, eine komplexe Vorstellung mit Parallelen, Überlagerungen und Verschränkungen, mit Netzwerkstrukturen und unklaren Beziehungen, eine solche Vorstellung muss für die Kommunikation linear, Wort für Wort, geäußert werden. Bei der Auswahl der relevanten Informationen und bei der Linearisierung nicht linearer Gedanken kann man auf das Wissen der Rhetorik zurückgreifen.
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Rhetorik sorgt für Klarheit und Verständlichkeit

Klarheit ist kein ausreichendes Kriterium für die Auswahl der relevanten Informationen. Klarheit herzustellen bedeutet, das Phänomen bzw. die Vorstellung darüber sichtbar zu machen. Stellen Sie sich nun eine*n Wissenschaftler*in vor, die oder der Ihnen eine klare Durchsicht auf die eigenen Gedanken gewährt. Klarheit reicht nicht, es muss die Verständlichkeit hinzukommen, die zielgruppenorientierte Gestaltung der Äußerung. Nicht das Phänomen, nicht das eigene Wissen über das Phänomen bestimmen die Aufbereitung und Anordnung der Informationen, sondern die Zielgruppe. Das sind jene Personen die die Äußerung verstehen sollen und wollen, sie sind der Maßstab für Ergänzungen, Reduktionen, Abänderungen und letztlich für die Form der Äußerung einer Vorstellung.

Klarheit und Verständlichkeit

Für die Auswahl der relevanten Informationen gibt es die zwei genannten Orientierungspunkte: die Klarheit und die Verständlichkeit. Aus meiner Sicht lohnt es sich, zu unterscheiden, was gerne in einen Topf geworfen wird. Der Unterschied wird an einem Beispiel deutlich:
Eine klare Brühe hat – im Gegensatz zu einer trüben Crème-Suppe – die Eigenschaft, dass man die Einlage am Boden der Suppenschüssel erkennt. Klarheit ist die Eigenschaft der Brühe, dass man durch sie hindurchsehen kann. Klar sind nicht die Nudeln in der Suppe, sondern: Die Brühe ist klar, und deshalb kann man die Nudeln sehen, man kann erkennen, dass es Buchstabennudeln sind.
Auf die Kommunikation übertragen gilt das genauso: Die Kommunikation ist klar, wenn man durch die Äußerung hindurch die Vorstellung des Schreibers oder der Sprecherin erkennen kann. Die Kommunikation ist verständlich, wenn die Informationen derart ausgewählt und dargestellt sind, dass man die zugrundeliegende Vorstellung nachvollziehen, verstehen und neue Erkenntnisse daraus gewinnen kann.
Demnach ist Klarheit eine Voraussetzung für Verständlichkeit: Wenn die Informationen ohne nennenswerte Verluste und Veränderungen in den Wahrnehmungsraum von Leserinnen, Hörern und Zuschauerinnen gelangen, dann hat die Klarheit ihre Aufgabe erfüllt. Diesen Aspekt sollte man im Hinblick auf die digitalen Medien nochmals genauer anschauen, weil sich die Übermittlung der Informationen dort deutlich von der unmittelbaren face-to-face-Kommunikation unterscheidet.

Rhetorik schafft Ordnung und Struktur

Die Rhetorik zeigt, dass sie behilflich dabei sein kann, die Komplexität von Kommunikation zu bewältigen. Mit Ordnungsmustern für Texte, mit wirksamen Redestrukturen und bewährten Argumentationsmustern gibt sie uns wichtige und in zahlreichen komplexen Situationen erprobte Prinzipien an die Hand. Diese helfen erstens bei einer klaren Informationsorganisation und zweitens, komplexe Vorstellungen in eine wirksame, lineare Ordnung zu bekommen. Das bringt nicht nur Klarheit und Verständlichkeit, sondern auch Sicherheit und Verlässlichkeit in die Kommunikation.
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Sich äußern mit Sprache und Bildern

„Verwenden Sie eine konkrete Sprache.“ und „Bilder sagen mehr als tausend Worte.“, so oder ähnlich lauten die beiden Ratschläge für mehr Klarheit beim Äußern. Bild und Sprache sind die zwei gängigen Ausdrucksmittel für Vorstellungen. Wenn man vergleicht, wie Sprache und Bilder Vorstellungen ausdrücken, kann man etwas über die Stärken und Schwächen des jeweiligen Ausdrucksmittels herausfinden.

Mit Sprache kann man unkonkret sein

Sprachliche Ausdrücke sind oftmals wenig spezifisch, beispielsweise das Wort „Ball“. Mancher denkt nun an einen Volleyball, eine andere an einen Fußball oder einen Tennisball. An welchen Ball haben Sie gedacht? Das Unkonkrete ist aber nicht immer ein Nachteil: Wenn ich meine Kinder abends frage: „Habt ihr die Bälle aufgeräumt?“, dann bin ich froh, dass ich nicht jeden Ball konkret benennen muss.
Mit Sprache kann man sich wunderbar vor Konkretisierungen und vor Klarheit drücken, oftmals erweitert man den Wortschatz sogar extra für solche Zwecke: Dass bei Kollateralschäden auch Menschen sterben, will man ja gerade nicht so konkret ausdrücken. Sprachliche Äußerungen, die klar, konkret und verständlich sein sollen, bedürfen einiger Übung. Mit einer einfachen Empfehlung „Formulieren Sie konkret.“ ist es nicht getan.

Bilder sind sehr konkret

Anders ist es bei Bildern – hier muss man sich entscheiden. Welchen Ball würden Sie wählen? Bilder sind sehr konkret, sie meinen nur das, was sie zeigen. Und man bräuchte nicht tausend, aber dennoch eine Menge Worte, um einen der abgebildeten Bälle exakt zu beschreiben. Gleichzeitig wirken Bilder assoziativ und öffnen Vorstellungsräume, die weit über das Abgebildete hinausgehen und oftmals weder konkret noch klar sind.
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Woran haben Sie bei dem Bild mit den Bällen gedacht? Die Vorstellungen, die Bilder auslösen, lassen sich schwerer steuern, sie wirken unkontrolliert, oftmals auch unbewusst. Grafiken liegen in ihrer Assoziationskraft und Konkretheit irgendwo zwischen Sprache und Bildern, je nachdem wie man sie gestaltet.

Sprache und Bilder sollte man kombinieren

Sprache kann Bilder einfangen, Wahrnehmung fokussieren und klärend wirken. Bilder hingegen können sprachlich Formuliertes konkretisieren.
Mit der Grammatik, dem Wortschatz und der Stilistik und Rhetorik auf der einen Seite und mit der Fähigkeit zu skizzieren, zu fotografieren oder einfach passende Bilder auszuwählen auf der anderen Seite steht ein immenses Repertoire an Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung. Das sollte man nutzen, um die eigenen Vorstellungen zu klären, weiterzugeben und damit etwas zu bewirken.
Favorisierungen eines Ausdrucksmittels – Sprache oder Bild – und damit einhergehende Polarisierungen halte ich für eher schädlich, weil gerade die Kombination der verschiedenen Ausdrucksmittel besonders wirksam sein kann. Wichtig ist, ein KnowHow über die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten zu entwickeln, und das geht am besten, indem man sie vielfältig und bewusst einsetzt.

Zeichen, Informationen, Vorstellungen

Ich habe zuvor geschrieben, dass Vorstellungen kommuniziert werden. Eine Vorstellung ist allerdings, wie sich gezeigt hat, viel zu komplex für die Kommunikation.
Streng genommen übermitteln wir nur Zeichen (bspw. Wörter), die fest mit einer Bedeutung verknüpft sind. Kommunikation funktioniert, weil alle diese Wort-Bedeutung-Beziehung kennen und auflösen können. Ich schreibe „Wort“, Sie lesen „Wort“ und wissen, was ich meine. Das ist noch keine Vorstellung, das ist eine Bedeutung, eine Information.
Vorstellungen entstehen, wenn man viele Worte, also kleine Informationen, in Beziehung setzt, sodass etwas Größeres, Zusammenhängendes daraus entsteht. Beim Äußern werden Vorstellungen entsprechend in viele verknüpfte Informationen übersetzt. Die Übermittlung einer Vorstellung, wie es in der folgenden Grafik dargestellt ist, besteht also aus den Schritten: Zerlegen einer Vorstellung in Informationen, Kodieren der Informationen in Wörter, Übermitteln der Wörter (in linearer Anordnung), Entschlüsseln der Wörter und Zusammenbauen der Informationen zu einer Vorstellung von der Vorstellung.
Ich zeige ein zweites Mal die Darstellung dieses Prozesses, in der die gedanklichen Schritte visualisiert sind.
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Wichtig ist in der Grafik, dass zwischen Punkten – die symbolisch für eine Information stehen können – eine Verbindung (ein Strich) eingezeichnet ist. Diese Verbindungen dürfen in der Kommunikation nicht fehlen. Sie sind wie der Bauplan, der angibt, wie die einzelnen Bauteile (Informationen) zusammenzusetzen sind. Und noch eine Modifikation habe ich vorgenommen: ein Fragenzeigen über der Vorstellung der Rezipientin bzw. des Rezipienten. Kommunikation ist keinesfalls so genau, dass die erworbene Vorstellung der geäußerten entspricht. Ein derart guter Bauplan für die Informationen lässt sich nicht formulieren.

Harte und weiche Informationen

Betrachten wir genauer, welche Informationen in der Kommunikation übermittelt werden, dann finden wir viel mehr als nur sprachliche oder bildliche Zeichen. Doch das heutige Verständnis von „Information“ ist stark auf diese harten Informationen beschränkt.
Seit dem Aufkommen der Kommunikationsmedien, also schon mit dem Telegraphen, verstand man unter „Information“ die Nachricht des Senders an eine Empfängerin. Information ist der kommunizierte Inhalt, alles das, was man aufschreiben, aussprechen oder bildhaft vermitteln kann. Dieser Blick auf Kommunikation prägt die noch heute gängigen Kommunikationsmodelle (vgl. das Sender-Empfänger-Modell). Doch im Gespräch, in der Rede oder in Lehr-Lern-Situationen ist Kommunikation mehr als die Übermittlung einer Nachricht.
Kommunikation ist auch Ästhetik und Stil, Kommunikation ist Gestik, Mimik, ein Verhalten im Raum, auch der Raum selbst als gemeinsamer Erlebnisraum, Kommunikation ist Stimme und Intonation, Kleidung und Haltung – körperliche wie innerliche. All das sind Reize, die selten isoliert und selten bewusst die Kommunikation beeinflussen. Doch als soziale Lebewesen sind wir es gewohnt, diese Reize im Kontext einer ganzheitlichen Kommunikation wahrzunehmen.
Bei Mimik, Gestik, Kleidung und sprachlichem Stil ist es offensichtlich, dass sie Informationsübermittlung beeinflussen, dass sie das Einordnen und Verstehen der Information steuern und dass sie selbst Informationen transportieren können. Wenn solche Reize fehlen, fehlen auch Informationen zur Kommunikation, beispielsweise zur Bewertung von Aussagen.
Derzeit können wir im Alltag beobachten, was passiert, wenn eine Maske die Mimik verdeckt: Unsere Wahrnehmung von anderen Menschen verändert sich, und wir können beispielsweise ironische oder ernste Kommunikation nicht mehr automatisiert bewerten. Ich trenne also zwischen harten Informationen, die in relativ eindeutig zu entschlüsselnden Zeichen kodiert sind, und weichen Informationen.
Weiche Informationen wie Gestik, Mimik, Raumverhalten oder Stimme haben einen großen Anteil an der Bewertung von Kommunikation und an der Klärung, wie die harten Informationen zu verstehen sind. Weiche Informationen wirken sich auf die Motivation aus, auf die Aufmerksamkeit und auf die Akzeptanz und Klarheit von Rollen und Kompetenzen. Sie haben einen erheblichen Anteil am Gelingen von Kommunikation.
Im zweiten Teil geht es am 02.06. weiter mit: Weiche Informationen sind vor allem im Hinblick auf die digitale Kommunikation eine Herausforderung.
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Stand: 26.05.2020