Was ist eigentlich Digitalisierung?

Vorwort des Autors

Dieser Artikel ist der Auftakt einer Serie, die sich dem vielseitigen Thema der Digitalisierung widmet. Dabei geht es nicht um Phrasendrescherei oder ein themabezogenes Imponiergehabe fachlicher Ausdrücke. Nein, ganz im Gegenteil.
Die Welt der Digitalisierung ist geprägt von englischen Fachausdrücken. Gleichzeitig soll sie alle Menschen erreichen und das (Arbeits)Leben erleichtern. Der Erfolg von Digitalisierungsvorhaben ist u.a. abhängig vom Umgang miteinander, beginnt mit einer verständlichen Sprache und dem Verständnis, die vielen Auswirkungen und Möglichkeiten der Digitalisierungseinflüsse zu erhalten.
Ein sehr dringliches Thema und Problem ist der anstehende Fachkräftemangel. 2025 werden laut der Agentur für Arbeit dem Arbeitsmarkt 6,5 Millionen Fachkräfte deutschlandweit fehlen. Möglicherweise wird der Zeitpunkt durch den coronabedingten konjunkturellen Wirtschaftseinbruch etwas nach hinten verlegt, doch bleibt das Problem auch dann bestehen.
Bedingt durch den demografischen Wandel gehen Millionen Menschen in den Ruhestand und wegen zu niedriger Geburtenraten rücken zu wenig Fachkräfte nach. Digitalisierung und digitale Transformation können einen Teil des Fachkräftemangels kompensieren. Grund genug, jetzt das große Thema durch die Unternehmen und deren Beschäftigten voranzutreiben. Ohne Wenn und Aber. Themenverwandte Impulse können Interessierte einer weiteren Serie des Bereiches Neue Arbeitswelten entnehmen.
Ziel dieser Rubrik ist es, die Sprache der digitalen Welt zu vermitteln und dabei anschaulich Hintergründe, Begrifflichkeiten, Auswirkungen und Praxisbeispiele zu erläutern. Und zwar so, dass Lesenden nicht die Lust vergeht, eine vielleicht neue bzw. abstrakte Welt besser verstehen zu lernen.
Auch den Profis bieten sich die Möglichkeiten, ihren ‘Digitalisierungssprech’ zu überdenken und sowohl Entscheidende als auch Anwenderinnen und Anwender besser in die Welt der Digitalisierung hineinzuholen.
Der thematische Einstieg im nachstehenden Digitalisierungsbeispiel mag merkwürdig, ja zu einfach anmuten. Es ist jedoch wichtig, einen Einstieg zu finden, den möglichst alle Lesenden nachvollziehen können, um sowohl den Unterschied von Digitalisierung und digitaler Transformation als auch die Auswirkungen auf der Arbeitswelt zu erkennen. Genug der Worte, fangen wir an.

Ein Digitalisierungsbeispiel

Etwas auf Papier Geschriebenes kann auch mittels Computerhardware und -software, hintergründig der sichtbaren Anwendungen, in binären Codes erfasst werden. Das Papier, das Schreibsubstrat und die Handschrift sind überflüssig. Die erfassten Informationen sind per Dateneingabe auf elektronischen Datenträgern gespeichert, sprich digitalisiert, siehe nachstehende Abbildung.
Dabei ändert die digitalisierte Lösung nicht die beschriebenen Inhalte, sondern den Prozess der Informationserfassung. Anwender müssen ggf. ein neues Schreibverfahren und den Umgang mit Computern und Software erlernen.
Der erste Nutzen dieser Schreibweise ist, dass Korrekturen am Bildschirm getätigt werden können, ohne ein neues Papier bei handschriftlichen oder schreibmaschinellen Niederschriften verwenden zu müssen. Was jedoch im Hintergrund passiert: Es entstehen Daten, gespeichert in Dateien.
Diese Daten beinhalten alle erfassten Informationen. Das ist sehr wichtig zu verstehen. Ab hier wird weiter von Daten geschrieben und vielleicht hilft die Eselsbrücke, warum es Informationstechnologien heißt, auch wenn der Vergleich wissenschaftlich betrachtet etwas hinkt.
Erst wenn die angesammelten Daten verwertet und weiterverarbeitet werden, entsteht die Wertschöpfung. In der zweiten Abbildung fließen die erfassten Daten in Anwendungen zusammen (DMS = Dokument-Management-System – ERP = Enterprise-Resource-Planning – CRM Customer-Relationship-Management). Dort werden Prozesse ausgelöst und Daten unterschiedlich weiterverarbeitet.
Noch interessanter wird es, wenn die Daten eines Computersystems Aktionen in anderen Systemen auslösen. Ausführungen dazu gibt es im nächsten Artikel, Big Data und Datenseen – die Zukunftswährung. Soviel als Ausblick: Werden die angehäuften Daten einzelner Applikationen in größere Datenbanken übertragen, spricht die Fachwelt von data lakes, zu Deutsch Datenseen, die Voraussetzung für Big Data Themen.
Mit diesem anfänglich einfachen Beispiel soll verdeutlicht werden, dass der Übergang von einer analogen zu einer digitalen Informationserfassung nicht nur einen Veränderungs-, sondern auch einen Transformationsprozess beinhaltet. Die alte Welt des Schreibens hat sich verändert und die erzeugten Daten sorgen für teil- und vollautomatisierte Prozesse, häufig verborgen in kleinen surrenden Maschinen.

Digitale Transformation

Das Papier, das Schreibsubstrat und die Handschrift aus dem o.g. Beispiel werden für das Erfassen der Daten nicht mehr benötigt. Die Daten sind auf elektronischen Datenträgern gespeichert, können digital weiterverarbeitet, verbreitet und verwertet werden. Die Adressatenwege können Mensch-zu-Mensch, Mensch-zu-Maschine, Maschine-zu-Mensch und Maschine-zu-Maschine sein.
Damit nicht genug. Digitale Transformation führt zu Dematerialisierungs- und Rationalisierungseffekten, zwei Themengebiete, die, kennt man sie nicht, nach Arbeitsverlust und Verdrängungsmärkten klingen. (Dieses Thema wird in einem gesonderten Artikel hier bearbeitet.)
Ein Vorgeschmack zu diesem Thema: Digitalisierung bzw. digitale Transformation bedeutet in erster Linie Automation. Automation wiederum heißt, dass Prozesse unterbrechungsfrei funktionieren, um die Effektivität und Effizienz zu steigern. Dadurch werden bspw. die Durchsatzraten pro Person gesteigert, egal ob sie an Maschinen arbeiten, Aufträge an Bildschirmen bearbeiten oder im Internet nach Produkten oder Wissen suchen. Alles wird schneller, Arbeiten, Maschinen u.v.m. werden durch produktivere oder andere Möglichkeiten substituiert.
Das Potenzial, unbequeme, unnötige und damit kostspielige Arbeiten zu automatisieren, kann dazu führen, dass die Sinnhaftigkeit der beruflichen Tätigkeit steigen kann. Dies liegt allerdings an uns, ob wir die Sinnhaftigkeit mitgestalten wollen, können und dürfen. Hierzu müssen sich Führungskräfte, Mitarbeitende, ja die gesamte Gesellschaft vorbereiten. Methoden und Haltungskonzepte helfen, den Wandel zu strukturieren und umzusetzen. Mögliche Impulse finden Sie hier.
Um die Auswirkungen der Digitalisierung im eigenen Unternehmen zu verstehen, bietet sich der Stakeholder Ansatz (siehe Abbildung 3) als Rahmen wissenschaftlicher oder unternehmensinterner Untersuchungen und Analysen an.
Der Stakeholder Ansatz ist einfach erklärt: Es geht um die internen und externen Interessensgemeinschaften eines Unternehmens. Die Kategorisierung hilft, äußere Einflüsse zu erkennen und interne Veränderungen bzw. Einflüsse auf externe Interessensgemeinschaften zu berücksichtigen.
Im Rahmen der Digitalisierung ist damit die Innovationsfähigkeit und die Bereitschaft, technologischen Fortschritt zu entwickeln bzw. zu antizipieren, gemeint. Eine Frage kann zum Beispiel lauten: Wird der technologische Fortschritt benötigt und verkraften die entsprechenden Stakeholder die damit einhergehenden Veränderungen?
Digitalisierungseffekte eröffnen weitreichende Chancen und lösen Probleme unternehmerisch, gesellschaftlich und politisch. Wissenschaftler und Vertreter aus der Industrie weisen auf einen radikalen Kulturwechsel bedingt durch die Auswirkungen einer globalen digitalen Transformationen hin und auch Philosophen wie Precht (vgl. Jäger, Hirten, Kritiker, 2018) setzen sich intellektuell mit den Folgen einer neuen zu bewältigenden Epoche auseinander.

Ausblick

Einerseits steht die Digitalisierung sinnbildlich für eine vielversprechende, flächendeckende Lösungsvielfalt etlicher Probleme, bspw. in der Produktion, in Prozessen mit Medienbrüchen, in der Kommunikation, neuen disruptiven Innovationen und der Erleichterung vieler alltäglicher Aufgaben.
Andererseits lässt sich eine unternehmerische und gesellschaftliche Überforderung in der Umsetzung und in der Priorisierung von digitalen Projekten ausmachen. Die Auswirkungen werden allumfassender, da nicht ersichtlich ist, ob bspw. die Quantität an Erwerbstätigkeit in Fertigungsbetrieben abnimmt und im Gegenzug dafür ausreichend neue Berufe entstehen werden. Die Komplexität von Unternehmen kann nicht „einfach mal so“ digitalisiert werden.
Wie sehen zukünftig die Gestaltung unserer Berufe, damit einhergehend die Einkommensmöglichkeiten und gesellschaftlichen, sozialen Strukturen aus? Welche Auswirkungen wird es wegen der Digitalisierung bzw. der Digitalen Transformation geben? Und welche Rolle spielen die Auswirkungen der Corona-Pandemie?
Das Thema Digitalisierung ist vielseitig und findet nahezu in sämtlichen Branchen abteilungsübergreifend Anklang und gewinnt elementar an Bedeutung. Es wird bereits vielseitig gelebt und immer mehr benötigt. Doch wie sehen die Transformationsschritte in eine digitalisierte Welt aus?
Auf diese und weitere Fragen gehen die folgenden Artikel dieser Rubrik ein. Sie sollen Anregungen liefern und werden inhaltlich sicherlich nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Einzig das Motiv, Licht in die undurchsichtige und vielseitige Materie der Digitalisierungswelt zu bringen, ist das Ziel der Kategorie: Welt der Digitalisierung.
Einleitend ist sicher, dass diverse Wissenschaften und Methoden aufeinandertreffen, wenn man sich professionell mit der Digitalisierung beschäftigt. Marketing, Changemanagement, Verhaltensökonomie, Personalmanagement und Diversity Management sind nur einige der zu nennenden Essenzen für eine erfolgreiche Einführung digitalisierter Verfahrensweisen. Denn im Engineering und in der Informatik sind Wissenschaft und Praxis bereits viel weiter: Sie entwickeln und produzieren digitalisierte Lösungen.
Es ist Zeit, die Sprache der Digitalisierung besser zu verstehen.

Definition Digitalisierung

Claude E. Shannon wird als der Urvater der Digitalisierung bezeichnet. Er definierte bereits 1948, dass mit binary digits analoge Werte oder Objekte mittels Logarithmen in digitale Formate konvertierbar werden.
Mit anderen Worten: Ursprünglich bedeutet Digitalisieren die Transformation von analogen Informationen in digitale Daten, oder die Fähigkeit physische Informationen und Daten in Form von Binärzeichen bzw. -codes auszudrücken. Mehr bedeutet Digitalisierung nicht.
Heute wird der Begriff Digitalisierung unter verschiedenen Aspekten und mit unterschiedlichen Deutungen verwendet. Kaum ein anderer Ausdruck beherbergt in seinen Querschnittseigenschaften so viele unterschiedliche Ausprägungen: Big Data, KI, Cloud Computing, Internet of Things, Gamification, Social Network, Social Business, Assistenzsysteme, Blockchain und Security sind nur einige der gängigen Themengebiete. (Auch hierzu erscheinen nach und nach Artikel.)

Wie funktioniert Digitalisierung?

Grundvoraussetzung für einen erweiterten Nutzen der Digitalisierung ist die physikalische Vernetzung zwischen Peripheriegeräten und dem auf Programmiersprachen basierenden Austausch von Daten. Informationstechnologische Details werden ausgespart, da es ausschließlich um die Verwendung und die ökonomisch-gesellschaftlichen Auswirkungen im Zeitalter der Informatisierung geht.
Voraussetzung der Informatisierung ist die „zunehmende Diffusion von Personalcomputern, deren Einbindung in ein neuartiges Netzkonzept (Client-Server-Computing) und die Anbindung der Unternehmensnetzwerke an öffentliche Informations- und Kommunikationsstrukturen“ (Boes & Kämpf, 2011, S. 51, Global verteilte Kopfarbeit. Offshoring und der Wandel der Arbeitsbeziehungen. Berlin: edition sigma).
Dies ermöglicht eine „Integration unternehmensinterner digitaler Informationssysteme in eine öffentliche Informationsinfrastruktur wie das Internet“, was zum Ergebnis führt, dass die „Einbettung des Unternehmens in einem unternehmensexternen Produktions- und Verwertungszusammenhang“ steht, und „das Entstehen einer weltweit durchgängigen Informationsebene […], die über die Produktion hinaus auch andere gesellschaftliche Reproduktionsformen erfasst“ (ebd, S. 56). Die Informatisierung ist der technologische Bestandteil des Begriffs Industrie 4.0.
Prof. Dr. Oliver Bendel ordnet die Ausprägungen der Digitalisierung in die Bereiche Gesellschaft, Politik und Wirtschaft ein. Er stellt die Verbindungen der Digitalisierung in unterschiedlichen Fachbereichen und Themengebieten dar.

Fazit

Offensichtlich haben bis heute weder die Wissenschaft noch die Praxis einen Standard für den Begriff Digitalisierung benennen können.
Die Kernproblematik unterliegt wahrscheinlich der Tatsache, dass die Sprache der Digitalisierung sehr vielseitig ist.
Hersteller von Software bezeichnen konkurrierende Produkte gerne mit eigenen Wortschöpfungen, um sich vom Wettbewerb abzugrenzen und auf die eigene, vermeintlich bessere Leistung hinzuweisen. Und doch handelt es sich um vergleichbare Produkte. Fairerweise muss man ergänzen, dass dies in vielen anderen Branchen ähnlich verläuft, aber die Berührungspunkte in der Regel auf gegenseitiges Fachwissen bzw. Experten auf Augenhöhe treffen. Dies ist bei digitalen Projekten anders, denn sie betreffen nahezu alle Bereiche – berufliche wie private.
Bei Unterhaltungen mit Mitarbeitenden aus der IT-Abteilung ist die Sprache in der Regel technisch und gespickt von Fachbegriffen. Schnell stellt sich das Gefühl bei Nicht-IT-affinen-Menschen ein, die Welt der Digitalisierung im beruflichen Kontext nicht zu verstehen. Ein Misstrauen gegen Digitalisierung ist damit vorbestimmt.
Hinzu kommt eine nun über 40-jährige kollektive Erfahrung von Digitalisierungsvorhaben in Unternehmen, die zwar unsere berufliche Welt enorm verändert hat, aber realistisch betrachtet für mehr Komplexität als für Vereinfachungen gesorgt hat. Auf diese Annahme wird umfangreich im Artikel Auswirkungen und Prognosen von Digitalisierungsprojekten eingegangen.
Umso wichtiger ist es, dass wir mehr über die Sprache und die Möglichkeiten der Digitalisierung lernen.
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(Letzter Stand 15. September 2020, Autor: Emmanuel Beule)