ERP-Einführung auf Distanz: Funktioniert die Fernbeziehung?

Eine ERP-Einführung ist ein umfangreiches Projekt, das sich über mehrere Monate erstreckt und sehr gut geplant und strukturiert sein will. Für die involvierten Teams seitens des ERP-Anbieters und des Kunden ist die Implementierung der neuen Software darüber hinaus der Anfang einer intensiven Beziehung, die viel Pflege verlangt. Persönlicher Kontakt war dazu bisher unerlässlich. Das Corona-Virus hat hier – wie in fast allen Bereichen des Geschäfts- und Privatlebens – einen gewaltigen Einschnitt mit sich gebracht.
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Wir haben zwei Unternehmen bei der Einführung einer neuen ERP-Software im Jahr 2020 begleitet und die beiden Projektleiter Frank di Patre und Ingo Pester sowie ihre Kunden zu ihren Erfahrungen befragt. Es ergaben sich spannende Einsichten, die einerseits bestehende Prozesse seitens des ERP-Dienstleisters in ihrer Funktionalität – auch im virtuellen Modus – bestätigen, andererseits aber auch die Grenzen der technischen Möglichkeiten klar abstecken.
Die Erfahrungen sind im Interviewformat wiedergegeben. Bevor aber die Eindrücke von ERP-Projektleitern und anwendenden Unternehmen präsentiert werden, stellt sich die Frage:

Was ist eigentlich ein ERP?

ERP steht für Enterprise-Resource-Planning. ERP-Systeme sind in der Regel modular aufgebaut und dienen Unternehmen dazu, sämtliche unternehmerische Aufgaben digital abzubilden bzw. zu organisieren und wirtschaftlich darzustellen. Ein ERP-System fußt auf informationstechnologischen Algorithmen, welche die Wirtschaftlichkeit, Produktivität und Rentabilität eines Unternehmens maßgeblich und ganzheitlich optimieren. Die Einführung und die Verwendung eines ERP-Systems funktionierten optimal, wenn ERP-Hersteller und Anwender zusammenarbeiten. Weltweit gibt es ca. 2.000 branchenspezifische ERP-Anbietende.

Wie funktionen ERP-Einführungen in Zeiten von Corona?

Herr di Patre, Sie haben schon einige ERP-Einführungen erfolgreich geleitet. Worin bestanden die Unterschiede zwischen einer „normalen“ ERP-Einführung und der Einführung in Zeiten von Covid-19?

Frank di Patre: Grundsätzlich fanden vor Corona praktisch alle Kundentermine als Präsenztermine beim Kunden vor Ort statt. Das heißt, es wurde in einem Raum in der Projekt-Zentrale beim Kunden gemeinsam konzipiert, geschult, gearbeitet und vor allen Dingen geübt. Es kamen herkömmliche, klassische Medien und Tools zum Einsatz: Beamer, Flipchart, Whiteboard etc.
Neben den Inhalten lernte man sich zudem persönlich kennen und konnte eine angenehme soziale Bindung zu den Ansprechpartnern aufbauen. Im direkten Kontakt lässt sich manches einfach schnell gemeinsam besprechen und erledigen. Das zählt zu unseren absoluten Stärken – der direkte Dialog mit den Kunden.
Mit der Pandemie musste komplett umgedacht werden. Der Besuch beim Kunden vor Ort wurde zur absoluten Ausnahme. Die Workshops mussten in virtuelle Veranstaltungen umgewandelt werden. Das heißt, man musste zunächst einmal eine gemeinsame technische Basis schaffen, um solche Schulungen aus der Ferne abhalten zu können.

Was waren die größten Herausforderungen für Ihr Team?

Frank di Patre: Zunächst war es eine sehr große Umstellung, ganztägige Workshops als Online-Termine abzuhalten. Das ist gerade am Anfang nicht nur sehr gewöhnungsbedürftig, sondern auch deutlich anstrengender als direkt vor Ort. Herausfordernd waren zu Anfang auch die technischen Hindernisse, wenn Kunden uns zum Beispiel aufgrund ihrer IT-Sicherheits-Richtlinien keinen oder nur sehr erschwerten Zugang von außen auf ihre Systeme gewährten. Dazu kamen unterschiedliche Programme, Tools und Ideen bei der gemeinsamen Arbeit am und im Projekt.
Arbeit auf Distanz
Ingo Pester: Die größte Herausforderung war die Risikoabschätzung, ob unser Kunde den Echtstart durchführen kann und wie viele Person vor Ort sein können. Dafür mussten die Voraussetzungen geschaffen werden, damit ein sicherer Umgang mit uns Projektleitern gewährleistet werden konnte.

Herr Pester, auch Sie haben bei zwei Kunden in der Pandemiezeit erfolgreich ein neues ERP-System eingeführt. Welche bestehenden Prozesse und Vorgehensweisen haben geholfen, die neuen Herausforderungen zu meistern?

Ingo Peter: Grundsätzlich die Möglichkeit, von zu Hause zu arbeiten und zu agieren. D.h. sowohl die notwendige Infrastruktur (Laptops, Microsoft Teams, Terminal-Server Zugang ins Haus) als auch bereits zuvor gesammelte Erfahrungen im Homeoffice kamen uns sehr zugute. Auch schon vor Covid-19 waren die Projektleiter regelmäßig aus dem Home-Office aktiv. Zwar war es schon eine Umstellung, praktisch gar nicht mehr in die Firma zu kommen, aber die Voraussetzungen für ein Arbeiten von zu Hause waren einfach schon vorher geschaffen und mit Microsoft Teams hatten wir das ideale Tool bereits im Einsatz. Generell unterstützen unsere Einführungsstrategie und der Aufbau der Workshops bereits die Umstellung auf Onlinemodus.

Was haben Sie aus der veränderten Situation gelernt?

Frank di Patre: Wir haben gelernt, dass es einerseits möglich ist, Termine und auch komplette Workshops aus der Ferne zu vereinbaren und durchzuführen. Die Akzeptanz ist in der Zwischenzeit überall gegeben. Die technischen Voraussetzungen sind aber nach wie vor oft sehr unterschiedlich: Zum einen das Kommunikationsmittel (Teams, Zoom, Skype, etc.), aber auch die Geschwindigkeit der Internet-Verbindung, die Qualität der Hardware usw. – alles spielt eine Rolle und erfordert von allen Beteiligten sehr viel Flexibilität.
Ingo Pester: Wir können flexibel auf die meisten Situationen reagieren. Dabei können unsere Projekte wie gewohnt eingeführt werden. Was bei Online-Veranstaltungen etwas zu kurz kommt, ist einfach der direkte, persönliche Kontakt und auch Mimik, Gestik und Haltung der Gesprächspartner fehlen bei der Wahrnehmung oft komplett, was schade ist.

Herr di Patre, als Projektleiter sind Sie es seit vielen Jahren gewohnt, regelmäßig zu reisen. Es war für Sie und Ihre Familie zu Beginn schwierig, ständig zu Hause zu sein. Gibt es dennoch auch positive Aspekte?

Frank di Patre: Natürlich gibt es positive Aspekte. Vor allem die teilweise entfallenden An- und Abfahrten zu Kunden sind sowohl aus ökologischer als auch ökonomischer Sicht ein großer Vorteil für beide Parteien. Es sind manchmal kleinere „Einheiten“ möglich, d.h. auch einmal ein „Halbtagestermin“ wird dadurch rentabel, dass man keine Zeit mehr auf der Straße verliert. Insgesamt gibt es nun mehr Möglichkeiten der Zusammenarbeit und man kann, wenn es erforderlich ist, spontaner reagieren.

Herr Pester, Sie haben letztes Jahr Ihr ERP bei einem Unternehmen mit 500 Mitarbeitern eingeführt. Da steckt viel Verantwortung dahinter. Was ist ihr persönliches Fazit?

Ingo Pester: Die Gestaltungsmöglichkeiten sind größer geworden und Arbeiten aus dem Homeoffice ist mittlerweile anerkannt und gesellschaftsfähig. Hier hat innerhalb einer sehr kurzen Zeit ein komplettes Umdenken stattgefunden und auch ein gewisser Sinneswandel. Dennoch: Es war sehr viel gegenseitiges Verständnis und Flexibilität gefordert, gerade am Anfang der Pandemie. Aber natürlich haben wir trotzdem immer schnell für jeden Kunden die passende Lösung gefunden und konnten trotz Corona wie gewohnt unsere Projekte einführen.

Was sagen ERP-Kunden über die neuen Herausforderungen?

„Was wirklich fehlt, ist der direkte Kontakt. Positiv waren die flexiblen und auch kurzen Sitzungen per TEAMS. Mit guter Technik und einem motivierten Team sind alle Situationen gut zu meistern.“
Ann-Kathrin Tieben, LM Holding GmbH & Co. KG
Denis Karrer von INTEC Engineering GmbH sagt:Die größte Herausforderung lag in der Anpassung der Software auf den dynamischen Bedarf des Anlagenbaus (Im Endeffekt Prototypenbau). Nach Projektstart kam erschwerend dazu, dass Vorbereitungsarbeiten im Umfeld von Corona ausgeführt werden mussten. Am ursprünglich geplanten Einführungstermin wurde trotzdem festgehalten und die ERP-Software wurde erfolgreich eingeführt.“

Über schrempp edv GmbH

Die schrempp edv GmbH ist eine Softwareherstellerin aus Lahr und spezialisiert auf ERP-Systeme für Projekt- und Variantenfertiger im Mittelstand. Rund 85 Mitarbeiter:innen programmieren, beraten und supporten über 120 Bestandskunden. Die wichtigste Eigenschaft für gute Kundenbeziehungen gibt die Geschäftsführerin Brigitta Schrempp vor: „Es geht nur miteinander. Das gilt für den Umgang mit unseren Kunden, aber auch mit meinem gesamten Team. Die Kunden sind stets ihre eigenen Experten und wir bieten unsere digitale, wirtschaftliche Expertise symbiotisch an.“
schrempp edv im IHK Ehrenamt
Frau Schrempp ist seit 2016 Teil der IHK-Vollversammlung, das höchste Organ der IHK Südlicher Oberrhein. Frau Schrempp gestaltet als Vizepräsidentin zudem den Kurs der hauptamtlichen Mitarbeitenden, die nicht nur das Prinzip des ehrbaren Kaufmanns, sondern mit zahlreichen Experten die Interessen der Mitgliedsunternehmen vertreten. Teil der hauptamtlichen Arbeit ist es, das sind die Mitarbeiter:innen der IHKen, Unternehmen unterstützend zur Seite zu stehen, wie beispielsweise beratend rund um das Thema Digitalisierung.
(Quellenangaben: © Adobe Stock, www.stock.adobe.com, snyGGG, moonnoon, Simple Line)

Online-Impuls-Serie zum Thema

Ab Februar 2022 können Sie kostenfrei an der Online-Impuls-Serie: ERP-Systeme als relevanter Baustein digitaler Transformation teilnemen.
(Autorin: Sybille Kunzelmann; Herausgeber: Emmanuel Beule)